23 Juni 2017

Kristallwesen und Zwillingsschwestern

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Die Diskussion bei der Exposébesprechung am Montag, 25. Oktober 1993, wurde sehr stark von Dr. Florian F. Marzin dominiert. Von ihm stammte die grundlegende Idee für den gesamten Zyklus um das angeblich größte Rätsel des Universums, und er wollte auch die Kontrolle über die Details behalten. Das merkte ich immer wieder, während ich mit dem Chefredakteur sowie den Autoren Robert Feldhoff und Ernst Vlcek im Konferenzraum des Verlages saß.

Ideen der Autoren wurden recht schnell weggewischt, ebenso meine. Wenn die andere Seite des Universums, so Florians Überlegung, zu unserer Seite des Universums gewissermaßen spiegelbildlich funktioniere, dann müsse man das konsequent durchdenken. Dann dürfte die andere Seite nicht nur lebensbedrohend sein, sondern müsse in der logischen Folge auch auf unserer Seite zu Tod und Verderben führen.

Seine bestimmende Art machte eine Diskussion manchmal echt schwierig. Es war klar, dass er eine große Sachkenntnis hatte und sich in der Science Fiction hervorragend auskannte – aber es war nicht einfach, sich darauf einzustellen. Immer wieder verwies er auf andere Science-Fiction-Werke, die wir anderen oftmals nicht kannten.

Ein Roman, auf den sich Florian bei seiner Konzeption berief, war »Die toten Welten des Bolg« des amerikanischen Autors Philip José Farmer. »Lass uns etwas machen, das so ähnlich ist wie bei Farmer«, argumentierte er.

tl_files/comic/downloads/cover/pr_erstauflage/1715tibi.jpgImmerhin gebe es in diesem Roman ein riesengroßes Lebewesen, das auf seinem Weg durch das Universum alle möglichen Planeten entvölkere. Zu diesem Wesen sei keine Kommunikation möglich, und es versuche in völlig sinnloser Manier, intelligente Lebewesen in Massen auszulöschen. So in etwa stellte er sich die Lebensformen vor, die auf der anderen Seite des Universums ihren Krieg gegen die Ayindi führten.

Mein vorsichtiger Einwand, dass in der PERRY RHODAN-Serie mit den Mobys schon einmal mondgroße Wesen existiert hatten und dass es mit dem Suprahet ebenfalls bereits ein Wesen gegeben hatte, dass Planeten reihenweise ausgelöscht hatte, wurde von ihm abgelehnt. Dann sollten wir eben dafür sorgen, dass unsere Ideen neuer und besser seien – womit er grundsätzlich recht hatte.

So verlief die Diskussion manchmal recht zäh. Ich war stets froh, wenn sich Robert mit seiner ruhigen Art einbrachte und unserem Gespräch eine zielführende Richtung verlieh. Ich ging zu schnell an die Decke, ärgerte mich zu früh darüber, wenn eine Idee von mir nicht funktionierte. Ernst blieb gelassen, saß da, schmunzelte und rauchte.

Immerhin konnten wir einige Einzelheiten festlegen. Wir bestimmten, dass bei den Ayindi nicht nur Kriegerinnen existieren sollten, sondern dass es offenbar auch Krieger gegeben hatte. Und wir machten uns erneut Gedanken darüber, welche Struktur die Abruse haben sollte. Die Schneeflockenschiffe wurden definiert, die Rolle der Zellaktivatorträger wurde klarer.

Auch hier erwies sich Robert Feldhoff immer wieder als ein Ideengeber par excellence. Ohne ihn hätten wir an diesem Tag keine guten Ergebnisse zustande gebracht. Sehr oft schaffte er es mit seinen kritischen Bemerkungen und Rückfragen, ganz neue Impulse zu geben.

Ich war dennoch froh, als der Nachmittag vorüber war. Ich fuhr nach Hause, wo ich mich frisch machte; später fuhr ich nach Gaggenau weiter, einer kleinen Stadt im Murgtal. Dort hatte Florian einen Tisch im Gasthaus »Alte Schule« reservieren lassen. Das Restaurant bot gutbürgerliche Küche und war – wie der Name nahelegte – wie eine alte Dorfschule eingerichtet. Auch die Speisekarte sah eher aus wie ein Schulheft, mit verkritzelten Notizen der Schüler und kritischen Anmerkungen der Lehrer.

Wir aßen und tranken gut; dabei sprachen wir über alles mögliche. Robert und ich stellten verwirrt fest, dass am Abend gar nicht so sehr über Inhalte diskutiert wurde, sondern es vor allem um Reisen und Tennis ging, ein wenig um Politik und die »alten Zeiten«. Gelegentlich thematisierten wir die aktuelle Entwicklung der PERRY RHODAN-Serie, die Leistungen der einzelnen Autoren, die Kritik in den Fanzines. Über grundlegende neue Handlungsideen sprachen wir nur am Rand.

Erst am Dienstagmorgen, 26. Oktober, ging es noch einmal zwei Stunden um den weiteren Verlauf des Ayindi-Zyklus. Wir definierten, wie die Handlung auf der anderen Seite des Universums mit der Handlung im Sonnensystem verbunden wurde – ich hatte gefordert, es müsse eine »konkrete Bedrohung für die Menschen« geben –, und legten fest, welche Rolle die Vandemar-Zwillinge einnehmen sollten. Es sollte Verbindungen zwischen der Vergangenheit der Erde und den Ayindi geben, ebenso fanden wir einen Weg, den Mythos um die Ritter der Tiefe mit der gesamten Thematik zu verbinden.

Als sich Ernst Vlcek und Robert Feldhoff auf den Weg zum Bahnhof machten, um die Reise nach Norden anzutreten – Ernst zum Flughafen in Frankfurt, Robert nach Oldenburg –, hatte ich das Gefühl, dass wir mit der Zyklusplanung einen großen Schritt zurückgelegt hatten. Darauf konnten wir aufbauen: Wir hatten bis zum Band 1715 alles sehr klar definiert, jetzt ging es daran, die Exposés zu schreiben. Diese Aufgabe würde Ernst übernehmen, während Robert weitere Einzelheiten hinzufügen sollte ...

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