28 Juli 2016

Ein Ansatz zu einer E-Book-Gesamtkonzeption

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich« 

Die Erfahrungen mit den E-Books zeigten uns im Verlauf des Jahres 2004, dass wir einen »kleinen Markt« hatten, den wir langsam aufbauen konnten. Vor allem Frank Borsch als Redakteur und Miriam Hofheinz vom Marketing trieben die Überlegungen weiter voran – die beiden hatten einen Weitblick, der zu dieser Zeit in der Verlagsbranche noch nicht sehr verbreitet war.

Im Dezember 2004 arbeitete Frank Borsch an einer Gesamtkonzeption für die E-Books, die seiner Ansicht nach weit in die Zukunft reichen sollte. Seine These war damals revolutionär: Wir sollten langfristig alle PERRY RHODAN-Romane als E-Books anbieten – das war ein Bruch zu unseren früheren Überlegungen, die davon ausgingen, dass E-Books ein »Randprodukt« waren.

Das langfristige Ziel, argumentierte Frank in mehreren Besprechungen, müsse sein, die E-Books »zu einem regulären Vertriebsweg neben den Print-Editionen« zu entwickeln. Jedes neue Produkt der PERRY RHODAN-Redaktion solle parallel als E-Book erscheinen, und die Produktion der E-Books solle »ohne nennenswerten Aufwand« nebenher betrieben werden.

Ende 2004 wurden die E-Books vor allem über zwei verschiedene Anbieter angeboten. Der eine Anbieter war die Firma Dibi, die beispielsweise stark auf einen Kopierschutz setzte und bei der die Kunden alle Romane einzeln kaufen konnten. Die andere Firma war readersplanet, und dort war die Philosophie eine andere: Man bot Abonnements an und lehnte einen Kopierschutz ab.

Wir hatten festgestellt, dass readersplanet erfolgreich war, obwohl die Kollegen aus Passau vor allem »alte« ATLAN-Heftromane vertrieben und nicht die interessanteren PERRY RHODAN-Romane. Frank Borsch argumentierte: »Die Leser fühlen sich durch den fehlenden Kopierschutz nicht eingeengt.« Darüber hinaus seien viele Leser vom Abo-System angetan und schätzten es sehr, sich nicht jeden Roman einzeln bestellen zu müssen. Zudem bot readersplanet zu diesem Zeitpunkt unterschiedliche Formate an – und wer wollte, konnte sich die Romane sogar ausdrucken.

Wem das seltsam vorkommt, muss sich klarmachen, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine Smartphones gab, wie sie ab 2008 aufkamen, und Lesegeräte wie der Kindle oder der Tolino in weiter Ferne lagen. Wer E-Books las, machte dies üblicherweise schlichtweg am heimischen Computer; nur manche Leser nutzten bereits ihre Mobiltelefone.

Frank zog eine Reihe von klaren Schlussfolgerungen: Er wollte die Zusammenarbeit mit readersplanet fortsetzen, allerdings »konsequent mit Altmaterialien«. Gemeint waren damit Romane, die für eine Print-Verwertung nicht mehr in Frage kamen, von denen wir ausgehen konnten, dass es dafür nicht mehr genügend Käufer für Bücher geben würde. Wir dachten dabei an die ATLAN-Serie, aber auch an die Fantasy-Serien MYTHOR und DRAGON – die waren allerdings stets »nachgeordnet«, weil niemand wusste, ob diese überhaupt noch jemanden interessieren würden.

Der entscheidende Punkt aber war, dass wir händeringend nach einem System suchten, das die Ansätze von dibi und readersplanet vereinte. »Unsere Kunden kaufen eine Serie, also müssen wir ihnen ein preisgünstiges Abonnement-System anbieten«, argumentierte Frank. »Einzelhefte können in einem solchen Fall teurer sein.« Wir sollten zu neuen Wegen aufbrechen, so seine Schlussfolgerung.

Letztlich dachte er langfristig. Irgendwann, so kalkulierte er ein, gäbe es einen ausreichenden Käuferkreis für die wöchentlichen PERRY RHODAN-Hefte, vielleicht sogar für die PERRY RHODAN-Silberbände. Er hatte eine Vision, die bei Gesprächen in der Kantine oder auf den Fluren beispielsweise von den Kollegen aus dem Buchverlag nicht verstanden wurde.

Miriam Hofheinz und Frank Borsch steckten mich mit ihrer Begeisterung an. Ich konnte mir Ende 2004 noch nicht so richtig vorstellen, dass einmal Millionen von Menschen mit großer Freude E-Books lesen würden – aber ich ließ mich gern auf die Vision eines wachsenden »digitalen Buchmarktes« ein.

Wenn ich aber in der Chefredakteurs-Besprechung davon erzählte, welche »Experimente« wir mit PERRY RHODAN machten, wurde ich belächelt. »Sie glauben also, dass sich die Leute irgendwann die Inhalte von Zeitschriften und Büchern aufs Handy schicken lassen werden?«, fragte mich der Chefredakteur einer unserer Frauenzeitschriften verwundert. Als ich ein »ja« als Antwort gab, war er noch mehr verwundert.

Zumindest Frank Borsch war davon völlig überzeugt. Er entwickelte Preismodelle für die E-Books. Langfristig müssten wir »näher an den Kioskpreis« heran, argumentierte er – weil die Kosten für die E-Books vorhanden seien. Aber wir sollten deutlich unter dem Kioskpreis bleiben; das wäre ein interessantes Modell. Und wir sollten einheitliche Preise haben, nicht unterschiedliche Modelle, wie sie zu dieser Zeit bei dibi und readersplanet  existierten.

Bei all diesen Gedanken blieb aber eine Frage offen. Welche Verkaufsstelle gab es denn, wenn wir unser neues Modell anstrebten? Blieb uns vielleicht nichts anderes übrig, als eine eigene E-Book-Produktion zu entwickeln und die E-Books über einen PERRY RHODAN-Shop selbst zu vertreiben?

An diesem Punkt endeten im Dezember 2004 alle Überlegungen. Uns war klar, dass wir komplett anders vorgehen mussten. Die digitale Revolution würde bei den Romanen bald kommen, davon waren wir überzeugt – jetzt benötigten wir eine vernünftige Vertriebsmethode.

Keine Kommentare: