27 Juli 2010

Der Sonderzug von Mannheim

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Freitag, fünfter September 1986: Im Mannheimer Hauptbahnhof wird ein Zug zusammengestellt. Mehrere Intercity-Waggons werden gekoppelt, beladen und auf ein Abstellgleis geschoben. Die meisten Angestellten und Arbeiter der Deutschen Bundesbahn haben nicht die geringste Ahnung, was das ganze eigentlich soll. Sie ahnen vor allem nicht, dass dies der PERRY RHODAN-Sonderzug sein soll, der von Mannheim nach Saarbrücken fahren wird ...

Die Organisation dieses Sonderzuges war einer meiner frühen und zugleich großen Einsätze im Dienst der PERRY RHODAN-Serie: Ich stand zu der Zeit als junger Angestellter erstmals im Sold der Verlagsgruppe Pabel-Moewig und gehörte zur Abteilung Public Relations. Einer meiner Aufgaben war, an der Organisation des zweiten PERRY RHODAN-WeltCons mitzuwirken.

(Warum dieser ausgerechnet in Saarbrücken veranstaltet wurde, entzieht sich heute meiner Kenntnis. Damals fragte ich nicht danach. Vielleicht lag es an den aktiven Fans im Saarland, die sich als Organisationshelfer gemeldet hatten, sicher auch an den guten Konditionen, die der Verlag vom Betreiber der Halle erhalten hatte.)

In der Werbung hatte man versprochen, dass die Besucher des WeltCons mit einem »Space-Trip« anreisen konnten. Sonderzüge aus der gesamten Republik sollten sternförmig auf Saarbrücken zurollen und so alle gleichzeitig an einem Abend eintreffen. So war der Plan – und natürlich ließ er sich so nicht erfüllen.

Dennoch hatten sich Hunderte von PERRY RHODAN-Lesern darauf eingelassen, ihre Bahnkarten zentral zu buchen – eine logistische Leistung der Bahn –, um so am selben Nachmittag in Mannheim einzutreffen. Dort sollten alle gesammelt werden, damit es zumindest von Mannheim aus einen Sonderzug nach Saarbrücken gab.

Zusammen mit zwei Kolleginnen aus der Werbeabteilung betrat ich an diesem Nachmittag den Zug. Wir lernten das Personal kennen, das nicht viel über die geplante Veranstaltung wusste, aber komplett auf einen »Party-Zug« eingerichtet war. Unter anderem hatte man einen Waggon als »Tanzwagen« vorgesehen: »Dann können Ihre Gäste schön tanzen«, sagte der Bahn-Angestellte, der uns alles erläuterte.

Das irritierte mich ein wenig. Auf Tanzmusik war ich nicht im geringsten eingestellt; sicherheitshalber hatte ich einige Kassetten mit »Weltraum-Musik« eingepackt, von der ich dachte, dass sie den PERRY RHODAN-Fans gefallen könnte. Dabei handelte es sich um Soundtracks von Filmen wie dem »Krieg der Sterne« oder Alben des deutschen Elektronik-Musikers Klaus Schulze.

Die Grafikerinnen und ich nahmen uns jedes Abteil vor. In jedes Fenster klebten wir druckfrische PERRY RHODAN-Plakate, und zwar doppelt, so dass die Motive nach innen und nach außen zeigten. Nach innen sollten sie den reisenden Fans gefallen, nach außen für die Pressefotografen ein schönes Motiv bilden, wenn wir im Bahnhof von Saarbrücken einliefen. Obwohl wir schnell arbeiteten, benötigten wir viel Zeit dafür, und ich war heilfroh, dass wir den vereinbarten Zeitraumen überhaupt einhielten.

Danach rangierte der Zug auf dem Bahnhof hin und her, um dann das passende Gleis in Mannheim anzusteuern. Rund 700 PERRY RHODAN-Fans betraten die Wagen und verteilten sich auf die jeweiligen Abteile. Und es geschah das, womit niemand von uns gerechnet hatte: Einige freuten sich über die schönen Plakate und entfernten sie von den Fenstern, rollten sie sauber zusammen und steckten sie als erste WeltCon-Souvenirs in ihre Reisetaschen und Rucksäcke.

Der Zugchef kam zu mir und hielt mir ein Mikrofon vor die Nase. »Als offizieller Vertreter des Verlages müssen Sie auch eine Rede halten«, forderte er freundlich. Ich begrüßte die Fans an Bord des Zuges, versuchte sie auf den bevorstehenden Con einzustimmen und wies auf die Besonderheiten des Zuges hin: Es gab Getränke, und wer wollte, konnte auch in den Partywagen kommen. Zuletzt begrüßte ich einige Fanzine-Herausgeber an Bord des Intercitys – ich wollte, dass die Fan-Presse hinterher schön positiv über den Con berichtete.

Der Zug fuhr los, ich konnte endlich ein kühles Bier trinken und fühlte mich danach wohler. Während der Zug den Bahnhof von Mannheim verließ und auf die Rheinbrücke zurollte, lief die Musikanlage an, und irgendwelche Synthesizer-Musik war in allen Abteilen zu hören. Die ersten Fans tauchten im Partywagen auf, ich konnte viele Bekannte begrüßen und war innerhalb kürzester Zeit in Gespräche verwickelt.

Nach einer Viertelstunde kamen die ersten Beschwerden wegen der Musik. Das sei ja so langweilig, maulten sowohl einige Fans als auch die Zugbesatzung; man wollte etwas peppigeres hören. Ich war enttäuscht, denn immerhin hatte ich auf meinen privaten Musikgeschmack verzichtet, kapitulierte aber nach einigen Diskussionen. Später lief die Musik, die man zu der Zeit im Radio zu hören bekam, aufgefrischt mit einigen Rock-Klassikern. Getanzt wurde zwar trotzdem nicht, aber die Stimmung stieg.

Zeitgleich tobte der Kampf um die Dekoration ... Das Zugpersonal und wir drei Verlagsangestellten versuchten vergeblich, die Fans davon abzuhalten, die Poster und Plakate von den Fenstern zu entfernen. Je länger die Fahrt dauerte, desto mehr Poster und Merchandising-Artikel verschwanden in den Taschen der Reisenden.

Ohne jeglichen Schmuck rollte der Zug in Saarbrücken in den Bahnhof ein. Was als PERRY RHODAN-Zug geplant war, sah aus wie ein ganz gewöhnlicher Intercity. Ich fing mir auch prompt den ersten Anranzer dieses WeltCons ein: »Ich hatte Ihnen doch gesagt, der Zug sollte wunderschön geschmückt sein«, bekam ich zu hören, »und jetzt das!« Meinen Beteuerungen, dass die Fans in übermäßigem Engagement alles von den Fenstern entfernt hatten, was ihnen gefallen hatte, schenkte kaum jemand Glauben.

Aber stolz war ich dennoch. Und ich freute mich, als ich sah, dass an diesem Abend alles klappte: Die rund 700 Fans verließen diszipliniert den Zug, gingen im Blitzlicht-Gewitter der Presse zu den bereitstehenden Bussen, die sie zu ihren Unterkünften bringen sollten. Aus den Lautsprechern des Bahnhofs drang Musik, in diesem Fall war es jetzt doch »Space-Rock«, was aber niemanden mehr störte.

Zwei sogenannte PERRY RHODAN-Roboter, ferngesteuerte Boliden aus Kunststoff, kurvten zwischen den Fans, den Journalisten sowie den »normalen« Bahnreisenden hindurch und sorgten für ein gewisses Chaos. Und zwischen alledem stand der SF-Fan und Händler Hans-Walter Arweiler, der den parallel stattfindenden Science-Fiction-Flohmarkt organisiert hatte, und verteilte mit breitem Grinsen seine Flugblätter.

Es war unterm Strich doch eine gelungene Fahrt. Erleichtert fuhr ich anschließend ins Hotel, um mich dort mit den Autoren zu treffen. Das aber ist dann wieder eine andere Geschichte ...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hoffentlich hast Du wenigstens auch noch eins der Poster abbekommen... so als Erinnerungsstück :)

Enpunkt hat gesagt…

Nein. Leider nicht. Für mich blieb nix übrig. Heul ...