12 Juni 2008

Mit Ernst Vlcek in Hamburg

Aus der Serie «Der Redakteur erinnert sich«

Exposé-Besprechungen in den neunziger Jahren brachten manchmal größere organisatorische Anstrengungen mit sich, weil viel zu reisen war: Ernst Vlcek wohnte in Brunn, einer Kleinstadt in der Nähe von Wien, und Robert Feldhoff wohnte in Oldenburg im nördlichen Niedersachsen. Die zwei Exposé-Autoren, die den Inhalt der PERRY RHODAN-Serie bestimmten, und die Redaktion trafen sich deshalb meist in Rastatt oder in Wien, um dort den weiteren Fortgang der Handlung zu bestimmen. Im Januar 1997 wollten wir eine Ausnahme von der Regel machen – und wir bestimmten Norddeutschland als die Region, in der wir uns treffen wollten.

Im Verlauf des 17. Januar 1997 fuhr ich mit der Bahn nach Hamburg, wo ich am frühen Abend eintraf. Am Bahnhof Altona holte mich Peter Altenburg alias Karl Nagel ab. Damals hatte er noch nicht den Plan, einen PERRY RHODAN-Comic zu publizieren; seine kleine Firma Alligator-Farm war damals auch eher ein sogenanntes Ego-Projekt.

Immerhin kannten wir uns zu der Zeit schon 17 Jahre, seit wir uns auf dem legendären PERRY RHODAN-WeltCon in Mannheim im November 1980 erstmals getroffen hatten. Peter gab ab 1980 das Fanzine »Fantastrips« heraus und vermittelte Zeichner wie Dirk Geiling und Udo Linke, die ja unter anderem für ATLAN tätig waren; ich publizierte ein Heft namens »Sagittarius«, und unsere Verkaufsstände während dieses Cons lagen nebeneinander. (Aber das ist eine ganz andere Geschichte ...)

Wie es zu jener Zeit schon Tradition war, gingen wir in die »Hollywood Canteen« auf der Ottenseer Hauptstraße (oder so – in der Fußgängerzone), wo wir bei Gerichten wie einem »Eddy Cochrane Burger« oder einem »Buddy Holly Sandwich«, 50er-Jahre-Musik, Foster’s Bier und Cola sowie seltsam gekleideten Bedienungen über alles mögliche diskutierten. Es ging lang, es war abwechslungsreich, und ich war noch sehr froh, dass ich mir nachts bei Peter die PERRY RHODAN-Homepage im Internet anschauen konnte: 1997 gab es praktisch keine Hotels mit Internet-Anschluss, und an Internet-Cafés war erst gar nicht zu denken.

Am nächsten Morgen traf ich mich dann mit Ernst Vlcek. Der Exposé-Autor aus Österreich war auch am Vortag eingetroffen und hatte lange mit H.G. Francis zusammengesessen. Gemeinsam bummelten wir durch die unterirdischen Gänge, die wie ein Labyrinth den Hauptbahnhof von Hamburg mit den Nebenstraßen verbinden.

In einem dieser Gänge kam es zu einer folgenschweren Begegnung, die Ernst Vlcek noch Jahre danach in Erstaunen versetzte: Ein nicht mehr ganz junger, vor allem nicht mehr sehr fit aussehender Mann hatte eine Spritze in der Hand und rammte sie einer Frau in die Arm-Vene. Mitten im Gang, zwischen all den Leuten stehend und ohne jegliche Irritation.

Ernst Vlcek blieb stehen und wollte seinen Augen nicht trauen. (Zu jener Zeit hatte Hamburg ein wesentlich heftigeres Drogenproblem als heutzutage – das nur mal als vorsichtiger Einwand.) »Das ist ja härter als auf dem Karlsplatz«, sagte er mehrmals fassungslos.

In der Folge schauten wir uns einige Straßen des Viertels St. Georg an, Ernst sah gleich noch mal einige Junkies, die in Hauseingängen saßen, und dann fuhren wir zur Reeperbahn. Mittags um ein Uhr beeindruckte die Vergnügungsmeile kaum, und die betrunkenen Männer wirkten auch wenig ansprechend. Schön war's dafür im Schanzenviertel (auch heute noch mein liebstes Hamburger Viertel), wo wir unter anderem durch Schallplattenläden tingelten.

Tatsächlich vertrödelten wir beide den Nachmittag – allerdings redeten wir die meiste Zeit über PERRY RHODAN, wenn wir nicht gerade Sightseeing betrieben. Als wir am späten Nachmittag zum Bahnhof zurückkamen, wurden wir Zeuge, wie sich ein Junkie mitten in der Station einen Schuss setzte; zwei Polizisten standen neben ihm und schauten zu.
Ernst Vlcek hatte danach eine feste Meinung über die Hanse-Stadt: »Ganz Hamburg ist ein Karlsplatz«, sagte er und schüttelte nur noch den Kopf.

Glücklicherweise ging es später an die ernsthafte Arbeit. Wir fuhren mit der Bahn nach Altona, wo wir in Peters Wohnung andächtig vor dem Fax-Gerät standen. Fax-Gerät?

Genau, es war die Zeit, bevor man überall Internet hatte, und Robert Feldhoff schickte uns per Fax sein Arbeitspapier für die bevorstehende Exposé-Besprechung. Die schätzungsweise zwanzig Seiten brauchten recht lange, und dann saßen Ernst und ich erst einmal auf Peters Sesseln und studierten Roberts Vorschläge. Die Laune des Expokraten, nach all den Junkies einigermaßen angeknackst, verbesserte sich zusehends.

Noch besser wurde sie bei einem Abendessen in der »Hollywood Canteen«, wo es Ernst ziemlich gut gefiel, bevor wir ins Abaton-Kino fuhren. Das Kino war zu jener Zeit der Ort des Hamburger PERRY RHODAN-Stammtisches, der an diesem Abend von den Fernsehleuten des Norddeutschen Rundfunks gefilmt werden sollte. Als wir eintrafen, saß der Autor H.G. Francis bereits fröhlich im Kreis der zahlreich erschienenen Fans. Im Scheinwerferlicht der Fernsehleute gab es eine Begrüßungsrunde und einige geschauspielerte Gespräche, dann verschwanden die Journalisten.

Der Abend gehörte dem PERRY RHODAN-Stammtisch. Ernst, Hans und ich diskutierten mit den Fans über alle möglichen Themen, über den aktuellen Zyklus ebenso wie die Leserkontaktseite, die Rolle der Frau in der PERRY RHODAN-Serie oder die geplante Alster-Rundfahrt der Hamburger Fans.

Es wurde ein langer Abend, obwohl wir am nächsten Tag ja eigentlich zur Exposé-Besprechung nach Oldenburg weiterfahren mussten, und Ernst hielt es am längsten aus: Während Peter und ich mit der Straßenbahn nach Altona unterwegs waren, blieb er bis halb drei Uhr. Einer der Stammtisch-Besucher fuhr ihn abschließend ins Hotel. Peter und ich gingen mit seiner Freundin noch ein Bier trinken.

In die »Hollywood Canteen« natürlich.

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