21 April 2008

Ein Blick in »solis orbita«

Aus der Reihe »Der Redakteur erinnert sich«

Im Nachhinein fällt es mir selbstverständlich schwer, mich in den Jugendlichen hineinzuversetzen, der ich im Oktober 1979 war. Ich hielt in jenem Monat das erste Heft in den Händen, in dem Texte von mir veröffentlicht wurden: Es war die Ausgabe 2 von »solis orbita«. Aus der Wahrnehmung von damals gab es allerdings haufenweise Gründe, stolz auf das Erreichte zu sein.

Ich war 15 Jahre alt, und ich fand mich im Impressum in einer Reihe mit Menschen wieder, deren Arbeit ich bewunderte: der Filmemacher Rainer Erler, der damals sehr bekannte Fan-Autor Manfred Borchard und die Jung-Profis Falk-Ingo Klee und Michael Nagula. Kein Wunder, dass ich glaubte, nun für eine Laufbahn als berühmter Schriftsteller bestens gerüstet zu sein. »solis orbita« wurde in meinen Augen zu einem richtigen Magazin, zu einem Heft, das zwar nur aus schwarzweiß gedruckten Seiten bestand und keine Farbe aufwies, das aber prominente Inhalte bot.

Und dann die Leserseite: Zuerst kam der Regisseur Rainer Erler, es folgte der PERRY RHODAN-Autor Peter Griese, dann kam ich – in dieser Gesellschaft fühlte ich mich selbstverständlich sehr wohl, und ich war unglaublich stolz auf diesen Abdruck. Schaue ich mir den Leserbrief mit heutigen Augen an, wird mir allerdings ein wenig schummerig: Mit dem Schreiben an die Redaktion wollte ich ganz eindeutig klarstellen, welch SF-Experte ich sei; der Ton des Briefes ist sehr »selbstüberzeugt«. So werden die Buchbesprechungen in der vorherigen Ausgabe gelobt und dieses Lob mit der Aussage verbunden, dass ich die Romane ja schließlich auch gelesen hätte ... nun ja.

Immerhin war ich in der zweiten Ausgabe gleich mit zwei Besprechungen aktueller Fantasy-Romane vertreten. Zu recht schrieb ich nur negatives über den miserablen Fantasy-Roman »Kampf im Labyrinth«, verband das aber mit einer recht übertriebenen Attacke auf Hubert Straßl alias Hugh Walker, den Herausgeber des Buches. Während andere Fans in diesen Tagen sich einen Namen dadurch verschafften, nur kritisches zu PERRY RHODAN zu schreiben, suchte ich mir im absolut sympathischen Herausgeber der TERRA FANTASY ein »Opfer«, an dem ich mich reiben konnte. Immerhin lobte ich den Roman »Vazkor« von Tanith Lee euphorisch; ein Lob, dem ich mich heute noch anschließen kann.

Und es gab eine Kurzgeschichte von mir, die erste überhaupt, soweit ich mich erinnere, die tatsächlich publiziert worden ist. Unter dem Titel »Der Sprung« ging's um eine Zeitreise, die ein unfreiwilliges Ende finden würde. Zur Erheiterung heutiger Leser zitiere ich den Anfang des Textes.

»Zufrieden betrachtete Ake Ekman die Maschine, mit der er den distanzlosen Schritt durch die Zeit in das Jahr 1478 vor Christi Geburt unternehmen wollte. Sie war die Krönung seiner zehnjährigen Arbeit mit der Zeit und den damit verbundenen Gesetzen. Wenn alles klappte, würde er mitsamt seiner Zeitmaschine das Jahr 1996 verlassen und im Jahr 1478 v. Chr. Wieder materialisieren. Er hatte in die Maschine eine Art Affinität zur Erde eingebaut, so daß er, wo auch immer die Erde sich befand, auf ihr wieder auftauchen würde, da sie sich vor 3474 Jahren an einer anderen Stelle des Sonnensystems und der Galaxis befunden hatte und er keine Lust hatte, im Leerraum zu landen.«

Zu oft hatte ich mich als Leser von Zeitreisegeschichten über manche Unlogik geärgert. Unter anderem hatte ich mir stets eine Frage gestellt: Wie sollte denn bitteschön ein Sprung durch die Zeit gelingen, wenn man hinterher irgendwo im Leerraum herauskommen würde? Das hatten meiner Ansicht nach die Autoren nie bedacht – ich aber, der die Kurzgeschichte während langweiliger Schulstunden geschrieben hatte, war genau auf diese Überlegung gekommen. Und ich bildete mir etwas darauf ein, diesen Gedankengang eingearbeitet zu haben.

Dass ich den Beginn der Zeitreise aufs Jahr 1996 festgelegt hatte, mag heute witzig klingen: Für den 15 Jahre alten Schüler lag das immerhin 17 Jahre in der Zukunft und damit richtig weit von seiner eigenen Zeit entfernt.

Selbstverständlich ist es nicht fair, wenn ich aus heutiger Sicht zu kritisch über den Jugendlichen von damals schreibe. Durch die fannischen Aktivitäten hatte sich mir – wie schon an anderer Stelle geschildert – eine neue Welt eröffnet, und in den ersten Kontakten zu Fans hatte sich herausgestellt, dass diese meine Texte mochten. Das war mehr an Lob und Zuspruch, als ich zu jener Zeit von Lehrern oder Familienangehörigen erhielt: Wer schrieb, machte sich anscheinend verdächtig, denn das war ja eher etwas seltsames, das kritisch beäugt wurde.

Wer dann aber ausgerechnet Heftromane las, setzte sich weiterer Kritik aus. Heftromane galten pauschal als »Schund«, von den Lehrern wurden sie abgelehnt, und selbst Menschen, die nie etwas lasen, schlossen sich diesem Urteil gern an. Wer Heftromane oder generell »Schund« las, wozu Science Fiction oftmals pauschal galt (»so g'sponnens Zeugs« als Kritik an Geschichten, die erfunden waren), bekam das eine oder andere gesellschaftliche Defizit attestiert. Um dieses ein wenig auszugleichen, musste man als engagierter Jung-Fan auf »anspruchsvolle« Science Fiction pochen; zumindest glaubte ich dies in jenen Tagen, in denen ich meine ersten Gehversuche in der Szene unternahm.

»solis orbita« gab mir auf jeden Fall Mut. Ich hatte etwas in den Händen, für das ich mich nicht schämen musste und das »blieb«, keine Klassenarbeit im Fach Deutsch, die irgendwann in den Müll flog, keine Raumschiff-Zeichnungen in Schulheften, die von den Lehrern konfisziert wurden. Es war mein Einstieg ins Fandom, in die Gemeinschaft der SF-Fans, und ich wollte jetzt mehr.

Ich schrieb nacheinander viele der Menschen an, deren Adressen im Fanzine standen. Zu einigen trat ich aus purer Neugier in Kontakt, und bei der Interessenvereinigung Science Fiction (IVSF), die auf einer Seite präsentiert wurde, wollte ich rasch Mitglied werden. Ich traute mich nicht, Karl-Herbert Scheer zu kontaktieren, obwohl dessen Adresse auf der Rückseite des Heftes zu finden war; das erschien mir als zu hochgegriffen.

Aber ich beschloss, nachdem ich »solis orbita« mehrfach durchgeblättert und -gelesen hatte, selbst ein Fanzine zu veröffentlichen. Ich wollte mein eigenes Heft: literarisch und journalistisch, inhaltlich und grafisch auf höchstem Niveau. Wie man das anstellen sollte, wusste ich in jenem Oktober 1979 noch nicht, aber ich ging bald darauf mit Feuereifer an die Arbeit.

Wenn man so will, war die Veröffentlichung meiner ersten Texte in »solis orbita« also der Startschuss zu meinem Weg in die PERRY RHODAN-Redaktion ...

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